Unsere Buchempfehlung im März |
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Rowohlt Berlin 24,00€ |
Jörg Hartmann: "Der Lärm des Lebens"So mancher fühlte sich in den letzten Jahren berufen, ein Buch zu schreiben. Sagen wir mal so: Es gibt Schaupieler/innen, die können auch das – und von den anderen wollen wir lieber schweigen. Wir haben aber z.B. mit Joachim Meyerhoff und Edgar Selge zwei wunderbare Beispiele für Bücher, ohne die uns wirklich was fehlen würde, um nur zwei Namen zu nennen. Und zwischen diesen beiden Polen bewegt sich das Buch vom Schauspieler Jörg Hartmann, den viele als Kommissar Faber aus dem Dortmunder „Tatort“ kennen. Hartmanns Buch hat sehr viele Facetten, und für alle findet er den richtigen Ton. Mal lustig und sehr lebendig, wenn er beschreibt, wie er sich als junger Schauspielschüler berühmten Regisseurinnen in den Weg stellt: „Darf ich Ihnen mal was vorspielen?“. Aber auch zart und berührend, wenn er von seinem dementen Vater erzählt, der doch ein so tatkräftiger, lebenslustiger Mensch war. Oder wenn er die Großeltern beschreibt, gehörlos – und das in der Nazizzeit, wo wir wissen, wie man mit beeinträchtigten Menschen umging. Mit einem beeindruckenden Gefühl für Sprache erzählt Hartmann von seiner Kindheit im Ruhrpott, von der Enge der Kleinstadt, der er unbedingt als junger Mann entfliehen wollte, am liebsten nach Berlin – Sehnsuchtsort. Und dennoch: immer wieder das Heimkommen, das sich Besinnen auf die Wurzeln, gerade angesichts der eigenen Kinder. Astrid Henning
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Claassen-Verlag 25,00€ |
Leo Vardiashvili: "Vor einem großen Walde"Der Roman beginnt mit einer Frage, mit der auch das erste Kapitel überschrieben ist: „Wo ist Eka“? Einer Frage, auf der sich die ganze Handlung des Romans aufbaut. Es ist Anfang der 90-er Jahre, als in Georgien ein Bürgerkrieg ausbricht, der viele Georgier zur Flucht zwingt. Und so verlässt auch Irakli mit seinen Söhnen Sandro und Saba das Land und zurück bleibt Eka, die Mutter der Jungen, die bald nachkommen soll, wenn der Vater das Geld dafür zusammen hat. Dieser Plan geht jedoch nicht auf, da London, wo die Jungen und der Vater leben, ein so teures Pflaster ist, dass kaum Geld für die Mutter gespart werden kann. Irakli leidet darunter zusehends, zumal er auch noch betrogen wird, als er endlich die nötige Summe beisammen hat und diese einem Boten anvertraut. Wir begleiten in diesem atemberaubenden Roman Saba auf seinem Weg zurück zu seinen Wurzeln und durchleben mit ihm eine Zeit von ungeheurer Intensität. Es beginnt am Flughafen, wo er den Taxifahrer Nodar trifft, der ihn ab da begleiten wird, und setzt sich fort über eine fast atemlose Schnitzeljagd auf der Suche nach neuen Hinweisen zum Verbleib der Familie. Sandro legt mit Graffitis und versteckten Notizen in einer Geheimsprache aus Kindertagen eine Spur wie im Märchen bei Hänsel und Gretel, der Saba folgt und die ihn in teilweise lebensbedrohliche oder ausweglos erscheinende Situationen bringt. Durch diese Erlebnisse, die immer wieder imaginär von inzwischen verstorbenen Familienangehörigen und Freunden kommentiert und souffliert werden, lernt Saba Land und Leute sowie die Geschichte seiner Familie mit einer schmerzhaften Intensität kennen. Es gibt nichts, was es nicht gibt in diesem Buch: Die Geschichte ist unglaublich spannend, dramatisch, traurig aber immer wieder auch heiter und vor allem herzlich und zutiefst menschlich. Leo Vardiashvili schafft es, in haarsträubenden, teils brutalen und grotesken Situationen immer wieder Funken von Warmherzigkeit, Mitmenschlichkeit und Hoffnung durchblitzen zu lassen. In einer oftmals lakonischen Sprache beschreibt er unfassbare Zustände von tiefster Armut, Härte und Traurigkeit, ohne pathetisch zu werden oder das Mitgefühl für seine Figuren zu verlieren. Er beschreibt die unglaubliche Gastfreundlichkeit der Georgier mit dem Satz „Ein Gast ist ein Geschenk von Gott“, der wiederholt vorkommt und verdeutlich, dass selbst in größter eigener Not die Menschlichkeit bleibt. Die Vielschichtigkeit der Personen, die versuchen in diesen schwierigen Umständen zu leben und zu überleben, ist immer sichtbar und macht auch eigentlich unverständliche Handlungen nachvollziehbar. Bettina Ziehe
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Hanser Verlag 26,00€ |
Percival Everett: "James""Witziger und dabei böser ist die amerikanische Gegenwartsliteratur lange nicht gewesen. Womöglich nicht mehr seit Mark Twain.“ Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.24. "James" ist ein faszinierendes literarisches Werk, das uns Leserinnen und Leser in eine komplexe Welt entführt. Wer als Jugendlicher die Abenteuer des Huck Finn gelesen hat, wird sich an den Sklaven Jim gut erinnern: ein Bär von einem Mann rein äußerlich, dem Gehabe nach aber unauffällig, devot und "klein". Everett verwandelt diesen Jim in, oder enttarnt ihn als einen Menschen mit großem Intellekt, einer enormen Raffinesse und der Gabe, immer wieder "durchsichtig" aufzutreten. und zwar genau dann, wenn die Weißen zu viel Interesse an ihm zeigen... James soll verkauft werden. Mit Sicherheit würde er in diesem Fall seine Familie nie wieder sehen. Also bereitet er seine Flucht vor. Denn er baut darauf, in Freiheit genug Geld zu verdienen, um seine Frau und Tochter Lizzie eines Tages auslösen zu können. Mit an Bord seines nicht sehr stromtauglichen Floßes ist Huck Finn. Der hat so viel Angst vor seinem gewaltätigen Vater, dass er dringend die Gegend verlassen will. So schippern die beiden auf dem Mississippi, und führen bisweilen nahezu philosophische Gespräche, während sie sich die nächste Mahlzeit angeln... Und hinter der nächsten Biegung dieses gewaltigen Flusses lauert bereit eine neue Herausforderung! Absolut lesenswert!!! Andrea Westerkamp
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KiWi 24,00€ |
Jessy Wellmer: "Die enue Entfremdung"Jessy Wellmer muss man mittlerweile nicht mehr großartig vorstellen, sie ist Moderatorin der Tagesthemen und hat u.a. die Dokumentation „Hört uns zu“ gedreht, Untertitel „Wir Ostdeutsche und der Westen“. Schon beim Nachdenken über dieses Buch, beim Schreiben dieses Textes wird das ganze Dilemma der letzten gut 34 Jahre deutlich: Noch immer drängen sich Vokabeln wie „beide Seiten“ auf, die Fremdheit ist bei vielen spürbar und seit Corona und insbesondere seit Ausbruch des Ukrainekriegs noch deutlicher zu spüren. Wellmer berichtet in sehr persönlichem Tonfall von ihrem eigenen Werdegang, hebt das Ganze dann aber auf eine gesamtdeutsche, sachliche Ebene – und entlässt niemand aus seiner Verantwortung, etwas, das mir an diesem Buch ganz besonders gefallen hat. Hier wird nicht mit Vorwurf und Schuldzuweisung gearbeitet, sondern aufgefordert, zu erzählen und mit wachem Verstand und viel Empathie zuzuhören – auf allen Seiten. Astrid Henning
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KiWi 12,00€ |
Marie Benedict: "Die einzige Frau im Raum"Mit knapp 18 Jahren spürt Hedwig Eva Maria Kiesler bereits, über wie viel Macht sie als Frau verfügt, dank ihres außergewöhnlichen Aussehens! Mit Anfang 30 gilt sie als schönste Frau der Welt und gelangt unter dem Namen Hedy Lamarr zu Weltruhm. Dass ebenfalls eine geniale Wissenschaftlerin in ihr steckt, wird erst viel später bekannt! 1933 Wien
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Kjiona Verlag 16,99€ |
Simone Kucher: "Die lichten Sommer"„Richtig, richtig schön!“, so lautete das Fazit meiner Vorablektüre dieses zarten Büchleins mit dem stimmungsvollen Cover lange vor dem Erscheinungstermin. Nun ist es endlich auf dem Markt. Und ich brauche es nur anzuschauen und sofort ist diese enorme atmosphärische wie inhaltliche Intensität wieder da. Liz ist fast volljährig, selbstbewusst und plietsch. Sie hätte das Potential, eine Ausbildung zu machen. Das sagt sogar ihr Abteilungsleiter in der Batteriefabrik, in der sie tagsüber arbeitet. Abends geht Liz ihrem Vater in der familiären Gastwirtschaft zur Hand, in dem kleinen süddeutschen Dorf, in dem die unfreiwillige Reise der aus der tschechischen Heimat vertriebenen Eltern nach dem Krieg geendet hatte. Mit Glück, Geschick und durch Anpassung haben sie sich herausgearbeitet aus den Flüchtlingsbaracken am Fluss, wo Elisabeth und ihre zwei Brüder geboren worden waren. Ja, Liz hätte das Potential, auf eigenen Füßen zu stehen; das Leben hat ihr mehr zu bieten als ein Hausfrauen- und Mutterdasein. Aber es sind die späten 1960er Jahre und die konservative Männerwelt kann nichts anfangen mit nach Unabhängigkeit strebenden Frauen. Liz fügt sich ihrem Schicksal, unterjocht von einem Vater, der die Härten des Lebens schon früh zu spüren bekommen hat und immer noch täglich damit kämpft, und ohne Unterstützung der Mutter, die so sehr mit sich selbst beschäftigt ist und mehr und mehr in ihren Tagträumen verschwindet. Die Theater- und Hörspielautorin Simone Kucher, die sich bereits in dem WDR-Hörspiel „Von einem zum anderen Tag“ mit der Vertreibungsgeschichte ihrer Großmutter beschäftigte, erzählt in ihrem Debütroman die Geschichte zweier Frauen, die wohl beispielhaft für die deutsche Nachkriegszeit steht. Sie erzählt von gesellschaftlichen und familiären Zwängen, von Kindheitsorten, Vertreibung und Verlust, von Schmerz und Sehnsüchten, nicht zuletzt von einer durch ein generationenübergreifendes Traum belastete Mutter-Tochter-Beziehung – jedoch „so zart und sinnlich und zugleich so aufgeklärt“ (Daniela Dröscher), eben richtig, richtig schön! Nina Chaberny-Bleckwedel
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Unsere Buchempfehlung im Februar
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Insel Verlag 23,00€ |
Helga Bürster: "Als wir an Wunder glaubten"Ein kleines Dorf in der Moorlandschaft nicht weit von Oldenburg. Vier Jahre nach Kriegsende hat zwar die unmittelbare Bedrohung aufgehört, aber ansonsten haben sich die Lebensverhältnisse in Unnerloh nicht gebessert. Die meisten Bewohner leben von der Hand in den Mund, man wohnt in kleinen, feuchten Katen und hat mit Glück ein paar Hühner, vielleicht ein Schwein und eine Kuh. Alte Gewissheiten haben sich in Rauch aufgelöst, eine sichere Zukunft scheint nicht in Sicht, kein Wunder, dass es allerorten Wunderheiler, Wanderprediger und allerlei Spökenkiekerei gibt. Jeden Tag sagt irgendjemand den Weltuntergang voraus – und so ist auch die Stimmung. Hier lernen wir kurz nach Kriegsende (1949) Annie und Edith kennen. Zwei Frauen, deren Männer beide noch „im Krieg geblieben“ sind, beide haben Kinder im gleichen Alter, sie unterstützen sich in Zeiten der Not und sind sowas wie Freundinnen geworden. Als Annies Mann Josef aus dem Krieg nach Hause kommt, ist er eine gebrochene Gestalt. Er hat Schlimmstes erlebt, beide Beine sind amputiert und ist auch seelisch schwer verletzt. Die Freude über Josefs Rückkehr hält bei Annie nur kurz an, sie hat nun einen schwer verwundeten Ehemann zu pflegen, der viel zu viel Alkohol trinkt und muss sich zudem um Willi, ihren geistig behinderten Sohn kümmern. Ihr kleiner Hof wirft nichts ab, die Welt ist gegen sie, es ist wie verhext, so kommt es ihr vor. Ja, wie verhext, genau das ist das Stichwort – und hier kommt Edith ins Spiel. Hübsch ist sie ja, aber rote Haare hat sie und überhaupt: Mit Sicherheit ist sie eine „Töversche“, eine Hexe, und ihre Tochter Betty gleich mit. Helga Bürster hat einen norddeutschen, atmosphärischen Roman geschrieben (übrigens immer wieder mit plattdeutschen Einsprengseln), der von einer Zeit handelt, in der alle Sicherheit verschwunden war und man für alte und neue Sünden dringend – neue – Schuldige brauchte. Wie passend, dass diese Geschichte im Moor, geradezu auf schwankendem Untergrund, spielt. Schon Annette von Droste-Hülshoff wusste „Oh schaurig ist’s, über’s Moor zu gehen…“. Astrid Henning
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dtv 17,00€ |
Elizabeth Wein: "Code Name Verity"Eine junge Schottin – hübsch, charmant und äußerst klug, dazu willensstark und bewundernswert tapfer – leistet als Geheimagentin „Verity“ Widerstand gegen die Nazis – bis sie durch einen Unfall im Herbst 1943 auf der französischen Seite des Ärmelkanals in die Hände der Gestapo gerät. Unter (angedrohter) Folter soll sie Informationen über ihre Mission preisgeben. Stoisch und nicht ohne ihren Hass auf die Deutschen zu verbergen, verfasst sie über Wochen einen detaillierten Bericht, spielt dabei mit der englischen, französischen und deutschen Sprache, mit ihren Peinigern und – wie wir jedoch erst viel später feststellen werden – auch mit der Wahrheit. Einmal angefangen zu lesen, legt man dieses Buch nicht mehr aus den Händen. So fesselnd, geistreich, informativ, überraschend und zutiefst berührend ist diese fiktive Geschichte um die enge Frauenfreundschaft von „Verity“ und Maddie, welche vielleicht beispielhaft steht für jene Zeit! Nina Chaberny-Bleckwedel
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Hanser Verlag 22,00€ |
Alex Capus: "Das kleine Haus am Sonnenhang"Freuen Sie sich auf einen leider nur kurzen Lesegenuss! Gewohnt atmosphärisch reisen wir mit dem jungen Alex nach Italien. Am Hang liegt recht einsam ein kleines uriges Haus, indem der Journalist seinen ersten Roman schreiben möchte. Hier in der Abgeschiedenheit kommt Alex zur Ruhe, und gemeinsam mit seiner Freundin genießt er die Idylle. Schon bald spielt sich eine Routine ein, die regelmäßige Besuche im Dorf mit einschließen. Nie war Alex Capus so "privat". Mit geradezu philosophischer Gelassenheit erzählt uns der Autor von den 90ern und lehrt uns so ganz nebenbei, wie wohltuend es sein kann, wenn man die kleinen Dinge des Lebens eben NICHT aus den Augen verliert. Das perfekte Geschenk für entspanntes Lesevergnügen! Andrea Westerkamp
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Rowohlt 26,00€ |
Inger-Maria Mahlke: "Unsereins"Lübeck um 1890: Da klingelt es bei allen von uns wahrscheinlich ganz gewaltig, „Buddenbrooks-Alarm“, sozusagen. Inger-Maria Mahlke stammt selbst aus Lübeck und hat einen Lübecker Familien- und Gesellschaftsroman geschrieben, der den Zeitraum von etwa 1890 bis 1905 umfasst. Durch verschiedenste Perspektiven tauchen wir ein in sehr unterschiedliche Lebenswelten – vom Dienstpersonal bis zum Senator. Einige Randfiguren machen die Runde komplett und so entsteht das Portrait einer Gesellschaft in einer stolzen Hansestadt am Ende des 19. Jahrhunderts, damals übrigens der kleinste Staat im Deutschen Reich. Wie ein Mosaik bilden die einzelnen Szenen und Milieus ein komplettes Bild, von dessen Betrachtung man am meisten hat, wenn man das Buch nicht allzu häufig zur Seite legt. Astrid Henning
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blanvalet 16,00€ |
Tina N. Martin: "Gewittermann"Bitterkalt ist´s in Schweden. Bei Minusgraden sollte man besser nicht halb entblößt im Schnee liegen... Der 74jährige Evert Holm leidet allerdings nicht nur an extremen Erfrierungen. Seiner Männlichkeit beraubt, für ihn bedauerlicherweise nicht "post mortem", rafften ihn u. a. Stromstöße dahin. Auch der auf seinen nackten Bauch geritzte Blitz wird dem Multimillionär unangenehme Schmerzen zugefügt haben. Wahrlich kein schöner Tod! Idun Lind, die wir hier gemeinsam mit ihrem Kollegen Tareq zum 2. Mal bei den Ermittlungen beobachten dürfen, ist ebenso energisch, wie im "Apfelmädchen". Der verbale Schlagabtausch unter den Kollegen und Kolleginnen wirkt authentisch, und die personelle Situation der schwedischen Polizei ist absolut glaubwürdig. Andrea Westerkamp
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Suhrkamp Nova 19,99€ |
Dana Vowinckel: "Gewässer im Ziplock"Wow! Was für ein Buch! So intensiv, so vielschichtig, so berührend, so wichtig, so aktuell! Dana Vowinckel, eine der neuen jungen – jüdischen – Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, gewährt uns in ihrem Debütroman einen tiefen Einblick in eine israelisch-amerikanisch-deutsche Familie. Wie jedes Jahr seit ihrer Kindheit verbringt die 15-jährige Margarita, aufgewachsen in Berlin bei ihrem alleinerziehenden, aus Israel stammenden Vater Avi, den Sommer bei ihren Großeltern mütterlicherseits in Chicago. Es ist heiß, langweilig, die Spleens der Großeltern nerven. Margarita sehnt sich nach ihren Freunden daheim, auch nach ihrem Vater, und zählt die Tage, bis sie endlich nach Hause fliegen darf. Doch statt wie geplant am Ende der Ferien nach Berlin zurück-zukehren, beschließen Avi und ihre Mutter Marsha, die zur Zeit in Jerusalem lebt und als Linguistin die Diglossie von Arabisch und Jiddisch erforscht, dass Margarita nach Israel reisen soll, um das Land ihrer Vorfahren besser kennenzulernen und im besten Fall eine Beziehung zu ihrer bis dato abwesenden Mutter aufzubauen. Widerstrebend lässt sich die Tochter darauf ein. Vorprogrammierte Konflikte diverser Art reihen sich aneinander. Margarita reagiert auf ihre Art, tut, was 15-Jährige in solchen Situationen eben tun… „Gewässer im Ziplock“ lässt sich durch den auf derselben Zeitebene stattfindenden Perspektivenwechsel von Margarita und Avi auf ganz unterschiedliche Weise lesen: Ein Teenager nähert sich dem Text, liest die Geschichte vermutlich ganz anders, nimmt andere Aspekte in den Fokus als erwachsene Menschen, die sich leichter mit Avi identifizieren. Man merkt der Autorin an, welche Zuneigung sie zu ihren fiktiven Figuren empfindet, wie sie sich einfühlt in ihre authentischen Charaktere, die aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit und Komplexität real sein könnten. Nina Chaberny-Bleckwedel
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Luchterhand 24,00€ |
Elizabeth Strout: "Am Meer"Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Strout hat mit ihrem neuen Buch „Am Meer“ den wohl zartesten Roman über den Lockdown geschrieben, den man sich vorstellen kann. Im März 2020 erhält Lucy Barton, erfolgreiche Schriftstellerin und Mutter zweier erwachsener Töchter, einen Anruf ihres Ex-Mannes William, der sie inständig bittet, geradezu auffordert, einen Koffer zu packen und gemeinsam mit ihm New York zu verlassen. Er hat in Maine, fernab jeglicher Zivilisation, auf einer einsamen Landzunge ein Haus für sie beide gemietet, in dem sie die nächste Zeit verbringen sollen. Doch aus den geplanten Wochen werden Monate, in denen Lucy und William und ihre komplizierte gemeinsame Vergangenheit zusammen sind in dem einsamen Haus am Meer. Auch nach ihrer Trennung haben sich die beiden stets gut verstanden, zum einem zum Wohle der gemeinsamen Töchter, zum anderen aufgrund einer gewissen Seelenverwandtschaft und aus einem tiefen gegenseitigen Verständnis heraus. Lucy erzählt uns von ihren täglichen Spaziergängen am Meer entlang, während in New York die Corona-Katastrophe passiert und die allabendlichen Nachrichten Bilder in die Welt senden, die nicht zu ertragen sind. So viele Gedanken, so viele Situationen und nicht zuletzt diese Pandemie sind so gut bekannt, sie machen auf der einen Seite betroffen, offenbaren jedoch auf der anderen Seite auch immer die Hoffnung auf ein bisschen Glück und Zufriedenheit, ein stetes Weiterkommen und Weitergehen. Heike Behrens
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Knaur TB 12,99€ |
Kästner + Kästner: "Tatort Hafen - Tod an den Landungsbrücken"Kästner und Kästner sind ein neues, und extrem vielversprechendes, Autorenduo aus Hamburg. Jedoch, so ganz unbekannt ist eine Person der beiden nicht: Frau Kästner nämlich hat unter dem Namen Angelique Mundt schon einige True-Crime-Veröffentlichungen auf den Weg gebracht. Mittenmang im Hamburger Hafenbecken wird in einer sanft schaukelnden Barkasse die Leiche des Mannes gefunden, dem dieses Boot gehört: Dominic Lutteroth, erschlagen mit einem stumpfen Gegenstand, im Angesicht des nahenden Todes mit einem Lächeln im Gesicht. Sein väterlicher Skipper-Kumpel Hans Kruger hatte des Nächtens ungewöhnliches Licht in der Kajüte gesehen und nach dem Rechten geschaut. Dienstgruppenleiter Tom Bendixen vom Wasserschutzkommissariat übernimmt zunächst die Untersuchungen, muss aber zuständigkeitshalber an die Mordkommission des LKA abgeben, konkret an Jonna Jacbobi, eine versierte und erfahrene Kriminalkommissarin, die mit ihrem Team zu den kompetentesten und erfolgreichsten Ermittlern gehört. Allerdings steht sie aktuell mehr und mehr im Fokus ihrer direkten Vorgesetzten, die Jonna deutlich aus dem Kommissariat herauszumobben gedenkt, um ihrer eigenen Karriere Vorschub zu leisten. Jonna und ihr Kollege van der Waal preschen unter Zeitdruck vor, Tom, als ausgewiesener Experte des 75 Quadratkilometer großen Hamburger Hafens (das sind mehr als 10.000 Fußballfelder), unterstützt. „Tatort Hafen“ ist deswegen ein besonderes Leseerlebnis, weil das Autorenduo sich in seiner Geschichte bestens auskennt. Angélique Kästner ist promovierte Psycho-therapeutin und Spezialistin für Krisenintervention, und ihr Ehemann Andreas Kästner arbeitete rund dreißig Jahre als Hauptkommissar der Wasserschutzpolizei im Hamburger Hafen, was man auf jeder Seite bemerkt. Polizeijargon und Arbeitsabläufe sowie Schiffstypen und vieles mehr bieten eine eindringliche Atmosphäre, umfangreiches Wissen über Hamburg und seinen weltberühmten Hafen gibt es selbstredend obendrauf. Ohnehin ist der Megahafen der heimliche Hauptdarsteller, aber das war ja irgendwie von Beginn an zu erwarten und so ist „Tatort Hafen“ weit mehr als nur eine zusätzliche Hamburg-Krimiserie. Heike Behrens
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Unsere Buchempfehlung im Januar |
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Rowohlt 24,00€ |
Tobias Lehmkuhl: "Der doppelte Erich"Dieses Buch ist wie gemacht, um es nach Kehlmanns „Lichtspiel“ zu lesen. In beiden Texten geht es darum, wie sich Künstler angesichts einer Diktatur im eigenen Land verhalten. Erich Kästner war mit Sicherheit ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten, seine Bücher gehörten zu den ersten, die am 10. Mai 1933 verbrannt wurden – sogar in seiner Anwesenheit. Dennoch blieb Kästner, anders als viele seiner Freunde, wie z.B. Tucholsky oder Ossietzky, in Deutschland. Er selbst begründete das damit, Zeuge sein zu wollen, um später darüber zu schreiben. Tatsächlich gibt es aus einigen Kriegsjahren knappe Notizen, aus anderen Jahren wiederum nicht. Eine wichtige Rolle beim Gedanken an Emigration spielte sicherlich Kästners Mutter, die er auf keinen Fall alleine lassen wollte. Schon als Kind hatte er Verantwortung für sie übernommen und einige Male mit ihrem Suizid rechnen müssen, das hat Kästner sicherlich geprägt. Zum dritten spielte wohl eine Rolle, dass er die Dauer des Krieges und der Diktatur völlig unterschätzt hat. Zwar durfte Kästner nicht mehr publizieren, unter Pseudonym hat er aber diverse „harmlose“ Theaterstücke und nicht zuletzt das Drehbuch zum großen UFA-Jubiläumsfilm „Münchhausen“ verfasst. Letzteres übrigens mit Goebbels Genehmigung, hier zeigt sich die Parallele zu Kehlmanns Roman um den Regisseur G. W. Pabst. Lehmkuhl hat eine offene und ehrliche Beschreibung Kästners vorgelegt, beispielhaft sicherlich auch für Andere, die innerhalb Deutschlands irgendwie versucht haben durchzukommen. Astrid Henning
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Kampa Verlag 24,00€ |
Eva Ibbotson: "Was der Morgen bringt"Vor vielen Jahren "lieh" ich mir aus dem Bücherschrank meiner Eltern einen Roman von Eva Ibbotson. Titel : Die Morgengab. Als ich nun mit "Was der Morgen bringt" begann, fühlte ich mich sofort ungemein wohl und geriet in einen absoluten Leserausch. Auf Seite 50 stellte ich fest, dass ich das Buch bereits kenne, allerdings unter einem anderen Titel (s.o.)... Sagen möchte ich Ihnen damit nur eines: lesen Sie es! Die Geschichte beginnt 1938 in Wien. Professor Berger und seine Familie müssen Österreich überstürtzt verlassen und fliehen nach England. Ihre fast erwachsene Tochter Ruth hat bei ihrem Einreiseversuch mit Hilfe eines Studentenvisums nicht so viel Glück. Nur das entschlossene Eingreifen Professor Quinton Somervilles verhindert Schlimmeres. Der junge Freund ihres Vaters heiratet Ruth kurzerhand, und somit ist sie in Sicherheit. Diese Scheinehe löst zwar ein akutes Problem, stellt die beiden "Eheleute" jedoch ständig vor neue Herausforderungen. Die Regeln für eine möglichst schnelle Annullierung sind nicht immer so ganz klar.... Die Schrecken des Krieges sind in diesem Roman gegenwärtig, werden aber nicht vorherrschend thematisiert. Besonders gut gefiel mir der herrlich britische Humor, und trotz der vorhersehbaren Handlung, fühlte ich mich bestens unterhalten! Andrea Westerkamp
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dtv 24,00€ |
Bodo Kirchhoff: "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt"In diesem Roman geht es um einen Mann kurz vor seinem 75. Geburtstag und die 4 ½ Lieben seines Lebens. Der Mann ist Louis Arthur – kurz L.A. – Schongauer, der eher als älter denn als alt beschrieben wird, was in diesem Buch durchaus von Bedeutung ist. Bodo Kirchhoff, selbst inzwischen 75, lässt Schongauer immer wieder über das Älterwerden und die damit verbundenen Veränderungen für das eigene Leben sinnieren. Dazu gehört der Blick zurück auf das Vergangene genauso wie eine vorsichtige Vorausschau auf das noch zu Erwartende. Die Reflektionen Schongauers sind eingebettet in eine Handlung, die fast ausschließlich von Frauen getragen wird, die gefühlt die Rolle von Souffleusen übernehmen. Sie liefern immer wieder zuverlässig Stichworte, anhand derer sich das Leben des Protagonisten entspinnt. Die bescheidenen Nebenrollen des hilfsbereiten Albaners oder des besorgten Kardiologen sind in diesem Roman nicht mehr als episodisches Beiwerk. Bodo Kirchhoffs Roman lebt eindeutig von der Sprache und dem stilistischen Können des Autors. Oft hatte ich beim Lesen das Gefühl, mit vor Ort zu sein, die wundervolle Umgebung und ihre Magie zu spüren sowie die ambivalenten Charaktere in ihrem Agieren hautnah zu erleben. So gilt meine Leseempfehlung auch weniger der Handlung des Romans – hier ist es mir fast ein bisschen viel männliche Selbstbespiegelung – als vielmehr der Schreibkunst an sich, die zwar nicht ganz leicht zu lesen, aber in jedem Fall ein Genuss ist. Bettina Ziehe
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Suhrkamp 25,00€ |
Andreas Pflüger: "Wie Sterben geht"Ein Spionagethriller der allerfeinsten Sorte, das ist „Wie sterben geht“. Der Roman beginnt gleich mit einer aufregenden und ziemlich explosiven Szene, die wie ein Prolog funktioniert: 1983, Glienicker Brücke in Berlin, zwei Spione sollen ausgetauscht werden. Die junge Agentin Nina Winter soll auf der Westseite Rem Kukura identifizieren, mit dem sie in Moskau eng zusammengearbeitet hat. Als die beiden sich schon in die Augen sehen können, wird die Brücke durch einen Sprengsatz in die Luft gejagt – und der Roman setzt ein paar Jahre früher ein. Ich kann gar nicht sehr viel mehr von diesem absolut rasanten Thriller erzählen, ohne zu viel zu verraten. Das Buch steckt voller Wendungen, Cliffhangern, Überraschungen, und das bis zur letzten Seite, tatsächlich. Andreas Pflüger hat äußerst akribisch recherchiert, als Leser hat man das Gefühl, dass man sich nach der Lektüre des Romans problemlos in Moskau zurechtfinden würde. Politik, Action, Geheimnis, Humor, auch Zynismus und sicher eine Prise Brutalität sind die Zutaten zu diesem Thriller, der einem Vergleich mit dem Altmeister John le Carré sicher standhalten kann. Astrid Henning
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Unsere Buchempfehlung im Dezember |
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S.Fischer 25,00€ |
Daniel Speck: "Yoga Town"Eine Familiengeschichte, 2 Indien-Reisen und jede Menge Zeitkolorit. Getrieben von der Sehnsucht, den Zauber hinter dem Profanen zu entdecken, machen sich die Brüder Lou und Marc mit Lous Freundin Marie 1968 auf, der kleinbürgerlichen Enge des eigenen Zuhauses in Harburg zu entfliehen. Harburg, nur ein Buchstabe und doch Welten vom großen Nachbarn entfernt. Auf dem Hippie-Trail Richtung Osten stößt in Istanbul noch die geheimnisvolle Corinna zu ihnen und zu viert landen sie nach einigen Zwischenstationen in Rishikesh am Ufer des Ganges. Sie finden sich wieder im Ashram des Guru Maharishi, dem damals neben den Beatles auch zahlreiche andere Musikgrößen vertrauten auf ihrer Suche nach dem „peace of mind“. Als Weg zur Erleuchtung pries Maharishi die Transzendentale Meditation, auf die sich jedoch nur Marie einlassen konnte, während die Brüder und Corinna teils auf andere Mittel setzten und doch gefangen blieben in den eigenen Verstrickungen. Damit ist die sich anbahnende Katastrophe vorprogrammiert und führt letztlich dazu, dass nur Lou und Corinna nach Deutschland zurückkehren. Daniel Speck schreibt atmosphärisch dicht und entwirft ein leuchtendes Kaleidoskop von Bildern, die das Indien der Flower-Power-Zeit vor dem inneren Auge seiner Leserschaft intensiv wieder heraufbeschwören. Ein Buch nicht nur für alle Blumenkinder von damals und heute, alle Sinnsuchenden, Musikliebhaber und Beatles-Fans, sondern auch für alle, die in der eher grauen Jahreszeit ein paar bunte Stunden genießen wollen, um ihren eigenen „peace of mind“ zu pflegen. Als Bonustrack gibt es bei den gängigen Streamingdiensten „Yoga Town auf die Ohren“ mit einer Playlist, die die im Buch genannten Titel beinhaltet. Bettina Ziehe |
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Unsere Buchempfehlungen im November
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Hanserblau 22,00€ |
Dietlind Falk: "No regrets"Tattoos und alles was damit zusammenhängt, ist wirklich nicht meine Sorte. Wenn ich Sie also jetzt trotzdem ins „No regrets“ entführe, einem Tattoo-Laden irgendwo zwischen Duisburg und Dortmund, muss das schon einen besonderen Grund haben. Dieser Grund hat vor allem zwei Namen, und dann eigentlich noch ganz viele mehr. Hänk und Muddy sind zwei in die Jahre gekommene, etwas abgehalfterte Typen, die seit vielen, vielen Jahren zusammen das „No regrets“ betreiben, einen Tattooshop der alten Sorte. Wobei „betreiben“ eigentlich ein bisschen übertrieben ist. Es kommen halt Menschen, die sich ein Tattoo stechen lassen wollen und die mehr oder weniger freundlich empfangen, aber sehr fachmännisch bedient werden. Früher stachen Hänk und Muddy Rosen, Anker und Fussballwappen, heute kommen die Leute mit dem verrücktesten Quatsch: „Also, ich will einen Diamant, der in einer Handfläche zu einem Silbersee schmilzt, so mit schimmernder Oberfläche, aber die Hand ist auch zur Hälfte ein Widder. Ich bin Widder.“ Kein Kommentar. Dieser Roman ist ein wunderbares Buch über Freundschaft, die allem Wandel trotzt, und ganz allgemein darüber, worauf es im Leben wirklich ankommt. Ein Buch, bei dem ich mehrmals laut gelacht habe, das aber auch wirklich anrührende Szenen hat. Unglaublich, wie lebendig Falk ihre Romanfiguren werden lässt und welches Gespür sie für Schilderungen von Atmosphäre hat. Sprachlich natürlich kein Mädchenpensionat, aber das wäre in diesem Umfeld auch höchst albern. Astrid Henning
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Berlin Verlag 22,00€ |
Jan Peter Bremer: "Nachhausekommen"Eine Kindheit auf dem Land, das klingt doch nach Idylle, nach unbeschwertem Aufwachsen – irgendwie nach Bullerbü. Für Jan Peter Bremer war es allerdings alles andere als das. Er ist fünf Jahre alt, als seine Eltern Mitte der 70er Jahre mit ihm aus Berlin ins Wendland ziehen, genauer nach Gümse, ein sehr kleines Dorf am östlichsten Rand von damals „Westdeutschland“. Erschwerend kommt hinzu, dass Jan Peters Eltern so gar nicht in die vorhandene dörfliche Struktur passen, die konservativ und bäuerlich geprägt ist. Jan Peters Vater nämlich ist Künstler, zwar erfolgreich und bekannt – das aber sicher nicht im Wendland. Im Schlepptau haben die Bremers befreundete Maler, Schriftsteller etc., es entsteht eine kleine Künstlerkolonie, was die Sache nicht besser macht. Alles Terroristen, zumindest Sympathisanten, Langschläfer, Faulpelze, mithin: keine rechtschaffenen Leute. Und was Eltern ihren Kindern vorbeten, wird oftmals übernommen, so dass Jan Peter keine schöne Grundschulzeit in der Dorfschule erwartet. Jan Peter Bremers Beschreibung seiner Kindheit und Jugend ist ganz fein und zart. Man spürt die Tortur der Schulzeit, taucht aber ebenso ein in die reiche Fantasiewelt dieses Kindes, die Teil der Rettung ist. Im Hintergrund immer das Lebensgefühl und die Gesellschaft der 70er in der BRD, beides wird in Bremers Erzählung nochmal sehr präsent.
Astrid Henning
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Arche 24,00€ |
Heather Marshall: "Frag nach Jane"Kennen Sie den Film „Call Jane“ (2022)? Angelehnt an diesen hat die junge kanadische Geschichts- und Politikwissenschaftlerin Heather Marshall in ihrem über 400 Seiten starken Debütroman „Frag nach Jane“ auf eindrückliche Weise und hohem Erzählniveau die Geschichte der Janes, einem illegalen Abtreibungs- netzwerk in den USA der 1960er und frühen 70er Jahre, auf ihre Heimat Toronto in Kanada übertragen. Die junge Evelyn wird 1960 von ihrer Familie genötigt, ihre Schwangerschaft unter strenger Geheimhaltung an dem kalten, unmenschlichen Ort "Sankt-Agnes-Heim für ledige Mütter“ zu verleben. Nur kurze Zeit nach der Entbindung nehmen die Nonnen den Mädchen ihre Neugeborenen weg und geben die Babys an anonyme Adoptiveltern. Physisch und psychisch zerschlagen, schwört Evelyn sich, nach ihrer Tochter zu suchen, bis sie sie gefunden hat, und der Generation junger, schwangerer Mädchen nach ihr ein solches Schicksal zu ersparen. Als Medizin- studentin kämpft sie Jahre später im Kreise willensstarker und risikobereiter Frauen für ein Recht auf Selbstbestimmung über den weiblichen Körper und nimmt von Beginn ihrer Gynäkologinnenlaufbahn an illegale Schwangerschaftsabbrüche vor, immer unter enormem Risiko, entdeckt und verhaftet zu werden. Dieses Risiko steigt noch, als Evelyn sich als eine von wenigen Ärztinnen der Untergrund- organisation Jane anschließt. Doch nur so erreicht sie noch mehr ungewollt schwangere Mädchen und Frauen und kann diese vor einer stümperhaften Abtreibung und deren Folgen bewahren. Geschickt, spannend und mit einigen Überraschungsmomenten lässt Marshall die Lebensstränge der drei Frauen ineinanderfließen. Allerdings braucht es für die Lektüre von „Frag nach Jane“ aufgrund der Zeiten- und Perspektivenwechsel nicht nur Konzentration, sondern vor allem starke Nerven: Marshall erzählt derart eindrücklich, dass manche Szenen kaum zu ertragen sind. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – sollten möglichst viele Menschen dieses Buch lesen! Der Kampf um die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper ist leider in vielen Teilen unserer Welt noch immer sehr aktuell, das Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch noch längst nicht überall selbstverständlich. Mit ihrer gut recherchierten (fiktiven) Geschichte über die Janes hat sich Heather Marshall einem wichtigen Thema unserer Gesellschaft gewidmet und all den starken Frauen, Kämpferinnen und Opfern von illegalen Abtreibungen Tribut gezollt. Nina Chaberny-Bleckwedel
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Ullstein Verlag 24,99€ |
Jo Nesbø: "Das Nachthaus"Der neue Nesbø, so ganz anders als alle vorangegangenen Thriller, so unglaublich gut und faszinierend, ein bizarrer Grusel mit Tiefgang. In dem kleinen und sehr langweiligen Ort Balantyne wächst der 14jährige Richard bei Tante und Onkel auf. Richard ist anders als andere Jugendliche, er ist auf der einen Seite ein Querulant, ein Nicht-Angepasster, auf der anderen Seite ein Einzelgänger, ein seltsamer Kerl. Als Neuer in der Schule ist es für ihn extrem schwierig, Kontakte zu knüpfen und in die vorhandenen Strukturen hineinzu- kommen. Und so verbringt er, mehr aus der Not heraus, Zeit mit Tom, der ebenfalls keiner Gruppe so richtig angehört. Nach dem ersten Teil dieses Buches, der uns Leser wahrlich hineinzieht in ein Geschehen, das unser aller Sein und Nichtsein gefährlich ins Wanken bringt, taucht man, vollkommen geflasht und vollends damit beschäftigt, die Orientierung wieder zu finden, auf – bereit für ein Weiter, in dem die Übergänge von Traum und Wirklichkeit fließend sind und man sich seiner eigenen Wahrnehmung nicht immer sicher sein kann. Erst im Laufe des dritten und letzten Teils des Buches folgt eine schlüssige Auflösung der bizarren und auch wirklich gruseligen Geschichte. Jo Nesbø hat es ein weiteres Mal geschafft, seine Leser und Leserinnen dermaßen in den Bann zu ziehen, dass es ein gerüttelt Maß an Selbstdisziplin braucht, das Buch für einen Moment beiseite zu legen. Heike Behrens
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Lübbe 14,00€ |
Tuomas Oskari: "Tage voller Zorn"Helsinki im Dezember 2027 ZITAT " Seit der industriellen Revolution hat sich das Vermögen in den westlichen Ländern immer mehr auf einzelne reiche Privatpersonen und Familien sowie deren Unternehmen konzentriert. Eine Reihe anerkannter Wirtschaftswissenschaftler sagt voraus, dass sich durch Automatisierung und Entwicklung künstlicher Intelligenz die Konzentration des Reichtums auf diejenigen,die sowieso schon darüber verfügen, im 3.Jahrtausend weiter verstärken wird." Lumi Nevasmaa ist 25 Jahre alt und wird ihren 26. Geburtstag nicht mehr feiern. Zwei randvolle Benzinkanister, Hüftgurt, Seile und ein Wurfgeschoss verstaut sie in einer reißfesten schwarzen Sporttasche. Drei Abschiedsbriefe hat Lumi geschrieben, zwei davon stecken ebenfalls in der Tasche. Während ein Taxi sie in eines der Nobelviertel von Helsinki fährt, beginnt es zu schneien. Die letzten Meter bis zu ihrem Ziel wird Lumi laufen. Eine alte Linde, die sie vor einigen Tagen entdeckt hat, scheint der perfekte Ort zu sein. Der Baum ist gut zu sehen vom Haus der bewussten Person. Und als Lumi sieht, dass das Licht hinter seinen Panoramafenstern noch brennt, weiß sie, dass er das folgende Spektakel nicht verpassen wird! Mit präzisen Griffen trifft sie alle Vorkehrungen. Lediglich das Übergießen mit Benzin lässt sie schaudern. Und als ihr gellender Schrei durch die Nacht dringt, in dem Moment, als die Flammen ihre Haut aufplatzen lassen, da meint sie, sein Silhouette am Fenster stehen zu sehen.... Andrea Westerkamp
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Fischer 24,00€ |
Lynn Cullen: "Die Formel der Hoffnung"Im Jahr 1949 tritt im Vanderbild Hospital Nashville eine junge Frau ihren Dienst an: Dr. Dorothy Millicent Horstmann, 1,85 m groß und schon daher schwer zu übersehen, wird als einzige Frau das hiesige, rein männliche, Ärzteteam unterstützen – und sie hat Großes vor. Allen Widrigkeiten zum Trotze hat sie sich der Wissenschaft verschrieben und will erforschen, wie die Ansteckungswege der Kinderlähmung, dieser brutalen Krankheit, die so viel Leid über die Menschen bringt, erfolgen. Und nicht allein das: sie will zwingend einen Impfstoff entwickeln, der dieser Geißel entgegenwirken soll. Zu viele Patienten, zu viele Kinder, hat sie an der Eisernen Lunge um Luft ringen und sterben sehen. Jedoch ist es nicht einfach, sich in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten. Trotz ihrer überragenden Ausbildung, ihres mehr als wachen Geistes, ihres Ehrgeizes und ihrer Hartnäckigkeit werden ihr täglich Steine in den Weg gelegt, wird sie, allein weil sie eine Frau ist, nicht recht ernst genommen. Die berühmten Forscher in ihrem Umfeld zweifeln an ihrer These zur Ausbreitung des Virus im Körper, aber sie will und sie wird ihnen beweisen, dass sie recht hat – um jeden Preis! Im Rennen gegen die Zeit wird sie zur Pionierin, die ihr privates Glück und ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt. Das Buch ist meisterhaft konstruiert, dabei absolut einfühlsam und sensibel. Ohne Dr. Dorothy Horstmann hätte es nie einen Impfstoff gegeben – und dieses Buch von Lynn Cullen rückt ihre brillante Arbeit in den Vordergrund und erinnert auch an all die Frauen, die sich in der Wissenschaft verdient gemacht haben und deren Name weiterhin einem breiten Publikum nicht geläufig sind. Ein großer Roman über eine, im doppelten Sinne, große Frau! Heike Behrens
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C.Bertelsmann 24,00€ |
Joana Osman: "Wo die Geister tanzen"Romane über Fluchterfahrungen gibt es viele und immer wieder neue. In der Regel muss man sich als Leser*in wappnen: Häufig beinhalten diese Bücher Szenen, die nur schwer zu ertragen sind; wir werden mit allen erdenklichen und unvorstellbaren Grausamkeiten konfrontiert. Nicht so bei Joana Osman. Die gebürtige Deutsche mit arabisch palästinensischen Wurzeln und Mitbegründerin der Friedensbewegung „The Peace Factory“, berichtet auf 224 Seiten teils poetisch, teils fast nüchtern, durchweg sehr bildhaft, „in einem fast leichtfüßigen Ton, in dem sich Schmerz und Witz unwiderstehlich vermischen“, und völlig wertfrei von diesen Grausamkeiten, die ihre Familie so oder so ähnlich erlebt hat. Aus sechs dicht beschriebenen Notizbüchern ihres Onkels Mahmut, acht Tagebüchern ihres früh verstorbenen Vaters Mohammad, wahren Anekdoten und den Erzählungen anderer Familienmitglieder und Zeitzeugen sowie historischer Fachliteratur hat Joana Osman eine fiktive Geschichte ihrer Familie väterlicherseits kreiert. In einem Wechselspiel von Vergangenheit und Gegenwart, der Perspektive der Autorin selbst, wie sie durch einen zufälligen Fund ihrer Cousine in Istanbul zu der Geschichte gekommen ist und was sie dabei erlebt hat, und der Perspektive ihrer Großeltern und deren Söhne, Joana Osmans Vater und Onkel, zeichnet sie das Leben und die Flucht aus der palästinensischen Heimat Jaffa im heutigen Israel über Beirut im Libanon, die Türkei bis zum neuen Zuhause in Deutschland nach. Dabei erfahren wir, wie die junge, hübsche Sabiha den viel älteren Ahmed Osman, der ein Kino in Jaffa besitzt, heiratet, wie sie 1948 im Zuge des ersten arabisch-israelischen Krieges ihre Heimat und ihr bisheriges Leben verlieren, mit ihren kleinen Kindern fliehen müssen um zu überleben, und auf der Odysse, die dort beginnt und Jahre, Jahrzehnte dauern wird, zeitweilig auch einander verlieren, sich selbst und viel zu früh zwei ihrer Söhne. Wir erfahren, wie die Familie unter menschenunwürdigen Zuständen haust, friert, wie die Jungen hungern, wie sie Gewalt und Feindseligkeit erleben, aber auch Mitmenschlichkeit und Hilfe und wie sie trotz allem ihren Lebensmut nicht verlieren, wie Mahmut, Mohammad, Ibrahim und Ismael größer werden, wie die (überlebenden) Jungen Zukunftspläne schmieden und wie zielstrebig sie den Traum von einem eigenen Pass und einer Staatenzugehörigkeit verfolgen. Auf den letzten Seiten ihres Buches finden sich neben dem obligatorischen Autorinnendank ein Glossar von Begriffen des arabischen sowie jiddischen Sprachgebrauchs, ein Literaturverzeichnis Osmans Quellen sowie als Besonderheit ein Soundtrack namhafter englischsprachiger sowie im arabischen Kulturkreis berühmter palästinensischer Interpreten. Unbedingt reinhören! Es lohnt sich! Nina Chaberny-Bleckwedel
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Diogenes 23,00€ |
Elena Fischer: "Paradise Garden"Zu Beginn jeden Monats, wenn noch genug Geld im Portemonnaie ist, essen Billie und ihre Mutter den größten Eisbecher im Café Paradise Garden... Billie ist 14 Jahre alt, als ihre Mutter stirbt. Kein Kind sollte so früh ein Elternteil verlieren! Ihre Mutter und sie lebten irgendwo in einer deutschen Stadt im 17. Stock eines Hochhauses. Und dieses Haus mit seinen herrlich skurrilen Bewohnern ist ebenfalls Protagonist in dem wundervollen Debüt von Elena Fischer, so sagt es jedenfalls die Autorin selbst. Man hilft sich untereinander und passt auf sich auf. Nachbarin Luna leiht Billie Geld. Und damit macht sie sich im alten Nissan ihrer Mutter auf den Weg, um ihren unbekannten Vater aufzuspüren. Natürlich können/dürfen 14Jährige in der Regel nicht alleine Auto fahren. Aber dies ist ein Roman, und in einer fiktiven Welt ist eben auch das möglich... Elena Fischers "coming-of age-road-trip" ist so bezaubernd und unterhaltsam geschrieben, dass ich das Buch liebend gerne ganz vielen Lesern und Leserinnen ab 14 Jahren empfehlen möchte. Kein Wunder, dass es für den deutschen Buchpreis 2023 nominiert wurde! Andrea Westerkamp
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Unsere Buchempfehlung im Oktober
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Rowohlt 23,00€ |
Ulrike Sterblich: "Drifter"Im Vordergrund dieser Geschichte steht die Freundschaft zweier Männer, die, im selben Häuserblock in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, ihr Leben inzwischen jeder auf eigene Weise erfolgreich gestaltet haben. Es scheint eine unverbrüchliche Freundschaft zu sein, getragen von einer Selbstverständlichkeit, die nichts hinterfragt, weil ohnehin beide im blinden Verständnis füreinander wissen, wie der jeweils andere tickt. All das ändert sich schlagartig, als „Killer“, der eigentlich Marco Killmann heißt, am Ende einer Veranstaltung unter freiem Himmel vom Blitz getroffen wird. Dem ersten Anschein nach übersteht er das zwar relativ unversehrt, doch in der Folge zeigt er eine zunehmende Wesensveränderung, die vieles von dem infrage stellt, was bis dato selbstverständlich war und auch seinen Freund Wenzel Zahn stark verunsichert. Die beginnende Entfremdung und behutsame Wiederannäherung der beiden zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Roman, der daneben zahlreiche andere, teils außerordentlich skurrile Ereignisse beschreibt. Vieles, was Ulrike Sterblich in diesem Roman erzählt, mutet an wie ein überdrehter, etwas fiebriger Traum - es erscheint unwirklich und manchmal schrill, ohne jedoch ins Lächerliche abzugleiten. Bemerkenswert finde ich, dass es der Autorin durchgehend gelingt, die Fäden der Handlung so im Blick zu behalten und miteinander zu verweben, dass bei all den wilden Verquickungen die Stringenz der Geschichte erhalten bleibt. Nichts von dem, was passiert, ist von Dauer, alles ist in beständiger Veränderung und die handelnden Personen sind jede für sich und alle zusammen „Drifter“, Treibende… Bettina Ziehe
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Unsere Buchempfehlungen im September
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Hanser Verlag 26,00€ |
Emma Cline: "Die Einladung"Sommer in den Hamptons, dort wo es sich die erfolgreichen New Yorker - zumindest am Wochenende – gutgehen lassen. Wir verbringen knapp eine Woche mit der 22-jährigen Alex, die mich absolut in ihren Bann gezogen hat. Sie ist jung und schön - etwas, dass ältere Männer mit gut gefülltem Portemonnaie anzieht und deren Ego aufwertet. Momentan ist es Simon, dem Alex Gesellschaft leistet, und wenn sie es nicht ganz blöd anstellt, könnte es diesmal was mit Zukunft sein. Kein ständiges Suchen nach dem nächsten Sugardaddy, denn auch Alex ist klar: Die Uhr tickt und irgendwann gibt es jüngere, schönere Mädchen, Zeit sich einen Heimathafen zu suchen. Dass sie ihre Biografie ein bisschen aufgehübscht hat, kommt hoffentlich entweder nicht raus - oder es stört Simon nicht. Hauptsache, sie entspricht seinen Erwartungen, und anpassen kann sie sich, das ist ihre DNA. Emma Cline lässt uns zusammen mit Alex eine Woche voller Ungewissheit, überraschender Begegnungen, Lügen, Täuschungen und verzweifelter Hoffnung verbringen. Psychologisch meisterhaft, mit "Ripley-Effekt". Astrid Henning
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Hanser Verlag 32,00€ |
Navid Kermani: "Das Alphabet bis S"«Etwas, das es so noch nicht zu lesen gab, weil es, wie alle großen Bücher, seine eigene Form erschafft.» Das zumindest verspricht der Verlag. Große Worte für ein großes Buch – groß in jeder Hinsicht des Wortes, nicht nur wegen der 592 (wirklich lohnenden) Seiten. Das Alphabet bis S von Navid Kermani ist ein literarisches Experiment. In Ausschnitten folgen wir einer Protagonistin, die keine sein will: Unsere Erzählerin führt ihr literarisches Tagebuch mit dem Vorsatz, sich selbst dabei außen vor zu lassen, ja gar keine Erwähnung darin zu finden. Ist das möglich? Kann man vom eigenen Leben, aber nicht von sich selbst erzählen? Navid Kermani stand in letzter Zeit vor allem durch seine Sachbücher auf den Bestsellerlisten: Als letztes durch «Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näherkommen». In «Ungläubiges Staunen» steht er vor großen und auch vor unbekannten Werken der christlichen Kunst. In «Entlang den Gräben» begibt er sich auf die Reise über das östliche Europa nach Iran. Sein Schreiben ist immer auch Meditation und Abwägung, er bringt in Einklang oder bemüht sich um Austausch. Auch in seinen belletristischen Werken sieht er keine Grenzen und sprengt die literarische Form, ohne dabei in seiner Komplexität unzugänglich zu sein. Es geht hier um Trauer und die Kraft des Erzählens von Augenblicken. Mattes Daugardt
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Diogenes 24,00€ |
Joachim B. Schmidt: "Kalmann und der schlafende Berg"Erinnern Sie sich noch an Kalmann aus Island? In seiner Nähe riecht es stets ein wenig unangenehm, schließlich trägt er häufig ein Stück Gammelhaifleisch für seinen Großvater in seiner Hosentasche. Nun ist Opa tot und Kalmann entsprechend traurig. Da kommt der Brief seines in den USA lebenden Vaters genau zur richtigen Zeit. Der lädt ihn nämlich zu sich nach Virginia ein. Aufgeregt meistert unser tiefbegabter Held die weite Reise, und ehe er sich versieht, steht er mit vielen fremden Amerikanern vor dem Capitol in Washington. Sein Vater und dessen Bruder wollen offenbar diesen Präsidenten mit der komischen Frisur besuchen... Joachim Schmidt ist definitiv bergaffin, schließlich wuchs der Schweizer in Graubünden auf und lebt jetzt in Reykjavík. Die Figur des Mitte 30jährigen jungen Mannes, der bei seiner Geburt zu wenig Sauerstoff bekam, wuchs mir bereits im ersten Band dieser Reihe ans Herz. Ich hoffe auf mehr! Andrea Westerkamp
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Heyne Verlag 28,00€ |
Stephen King: "Holly"Kaum zu glauben: Da bin ich seit 30 Jahren Buchhändlerin und habe noch keinen einzigen Stephen King gelesen! Wie gut, dass mir „Holly“ in den Weg kam und ich jetzt mitreden kann. Und das möchte ich unbedingt, denn ich bin in diese 640 Seiten wirklich abgetaucht. Holly Gibney ist manchen King-Lesern evtl. schon vertraut, sie war bislang in zwei Romanen eher eine Nebenfigur und betritt jetzt als Protagonistin die Bühne. Holly ist Privatermittlerin und betreibt mit ihrem beruflichen Partner Pete die Agentur Finders Keeper, wo es insbesondere darum geht, Vermisste aufzuspüren. Genau das ist auch der Grund, weshalb Penny Dahl bei Holly anruft, ihre erwachsene Tochter Bonnie wird vermisst, spurlos verschwunden auf dem Heimweg von der Arbeit nach Hause. Das Einzige, was gefunden wurde, war Bonnies Fahrrad, und zwar in der Nähe eines Parks. Das Raffinierte (und manchmal Quälende) an diesem Thriller ist, dass wir zu jeder Zeit mehr wissen als Holly. Zum Beispiel, dass das nette, ältere Professorenehepaar Roddy und Emily Harris Abgründe in sich trägt und leider auch auslebt, die man sich kaum vorstellen kann. Astrid Henning
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Fischer TB 17,00€ |
Kristina Pfister: "Tage im warmen Licht"Lieben Sie auch diese Jahreszeit, wenn die Luft frischer wird und das Licht golden? Mögen Sie Tee, Kuschelsocken und Wärmflaschen? Wird es Ihnen warm ums Herz allein bei dem Gedanken an offene Arme, offene Ohren und offene Türen? Solidarität unter Frauen? Dann ist Kristina Pfisters neuer Spätsommerroman genau das Richtige für Sie! Es ist Ende September. Die 39-jährige Maria, studierte Illustratorin und alleinerziehende Mutter einer 13-jährigen Tochter, hat das Haus – und den Hund – ihrer verstorbenen Großmutter geerbt, wo sie ein Großteil ihrer Kindheit und Jugend verbracht hat. Da sie eh gerade arbeitslos, genervt vom Vater ihres Kindes und Linnea kreuzunglücklich in ihrer Schule ist, beschließt Maria kurzerhand, zurück in ihre alte Heimat, ein Kaff zwei Autostunden nördlich von München, zu ziehen. Nur vorübergehend natürlich. Kristina Pfister erzählt mit so viel Nähe, so viel Witz, so vielen kleinen Lebensweisheiten und so viel menschlicher Wärme, dass ich nach der letzten Seite am liebsten direkt wieder von vorne angefangen hätte. Dieses Buch ist einfach nur wohltuend. Nina Chaberny-Bleckwedel
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Eichborn 25,00€ |
Coco Mellors: "Cleopatra und Frankenstein"Was uns der Korpus an Filmen, Musik und Literatur über New York City verrät: Es gibt sie, die Magie des Augenblicks. Denn wenn sich in dieser Millionenstadt zwei Menschen begegnen, ganz zufällig, und sie auch noch eine Verbindung teilen, dann ist das magisch. So begegnen sich Cleo und Frank eines Silvesterabends und verlieben sich auf den ersten Blick. Cleo ist jung, depressiv, chronisch pleite, kreativ, empathisch, britisch. Frank ist erfolgreich, glaubt jung geblieben zu sein, liebt Cleo und würde so ziemlich alles für eine gute Geschichte tun. Nach einem halben Jahr zusammen beschließen die beiden zu heiraten, weil sie sich lieben, aber auch weil Cleos Visum abläuft. Sie lieben sich stürmisch und leidenschaftlich – ihre Zweisamkeit ist das stille Auge des Sturms, ihr spontanes Eheleben hat aber Auswirkungen. Cleopatra und Frankenstein ist ein Buch, das sich auf seine Charaktere verlässt und gerade in den Dialogen glänzt. Wie Sally Rooney, traut sich Coco Mollers eine Distanziertheit zu ihren Figuren, die Lücken aufweist und Fragen unbeantwortet lässt. Gerade so entwickelt der Text aber ein Eigenleben und ist in einem Maße persönlich, das nur durch die Fantasie der Lesenden begrenzt wird. Wenn man den Sprung wagen mag und ebenfalls Ja sagt zu Menschen, in die man nicht hineinsehen kann, und das Risiko der Liebe akzeptiert, die unweigerlich Anfang und Ende zugleich ist. Mattes Daugardt
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Frankfurter Verlagsanstalt 24,00€ |
Paula Schweers: "Lawinengespür"Nora ist 23, Promotionsstudentin in Berlin, arbeitet nachts am Fließband, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ernährt sich von Kaffee und hat regelmäßig Sex mit ihrem aus Polen stammenden Arbeitskollegen. Ihr Halbbruder Leo ist seit zehn Jahren verschollen. Am Tage seines achtzehnten Geburtstages verschwand Leo spurlos, während das Elternhaus in Bayerisch Eisenstein lichterloh brannte, meldete sich nie wieder bei seiner Schwester, die verzweifelt versuchte, ihn zu kontaktieren, ihn schmerzlich vermisste, bis heute. Und dann taucht er plötzlich wieder auf. Schwer verletzt liegt Noras Bruder in dem kleinen Krankenhaus ihrer Heimat. Alle hatten recht. Noras wissenschaftliche Karriere als Geologin steht kurz vor dem Durchbruch, ihre Doktor-Mutter, die ihr auch ein bisschen die richtige Mutter ersetzt, erwartet von ihr Enthusiasmus und volles Engagement. Doch Nora erleidet einen Nervenzusammenbruch; plötzlich hat sie keinen Zugang mehr zu Buchstaben, kann von jetzt auf gleich nicht mehr lesen. Ihr Herz rast, die Gedanken rasen, sie vertraut sich weder ihren zwei Freundinnen noch der Psychiaterin an, sie hat noch nie mit jemandem gesprochen, geweint schon gar nicht, wozu auch, was soll das helfen. Außerdem versteht sie selbst nicht, warum sie nichts fühlt, ihr seelischer Zustand ist ihr unangenehm, ihre Vergangenheit noch viel mehr, und es scheint ihr Schicksal zu sein, dass die Männer, die ihr nahestehen, immer einfach so aus ihrem Leben verschwinden. Während der Sommer in Berlin langsam ausklingt, Nora sich immer mehr in sich zurückzieht, nicht mehr arbeitet, nicht mehr isst, schläft sowieso nicht, wir ihre Taubheit, ihre Erschöpfung förmlich spüren können, ganz nah dran sind an der Ich-Erzählerin, ihren Gedanken, ihren Nicht-Gefühlen, erfahren wir auch Leos Geschichte: Leo, der es nicht mehr ausgehalten hat in dem spießigen Kaff, bei einem Stiefvater, für den er eine Enttäuschung darstellte, bei einer Mutter, die sich selbst benahm wie ein Kind, unter den Blicken der Nachbarn, die hinter vorgehaltener Hand tuschelten, der seine Chance sah in dem Verkauf von Drogen und selbst nicht widerstehen konnte. Leo, der es kaum erwarten konnte, achtzehn zu werden und nach Russland zu gehen, dorthin, wo er die beste Zeit seines Lebens verbracht hatte, als er für ein Jahr in ein Camp für schwer erziehbare Jugendliche, für die ganz harten Fälle, auf Entzug geschickt worden war. Nach vielen Jahren in verschiedenen Ländern, in denen er länger auf der Straße als unter einem Dach gelebt hat, häufiger hungrig war als satt und letzten Endes beschloss, dem Drogenkonsum abzuschwören, wenn auch nicht dem Dealen, gelangt er nach Moskau. Leo, den seine Geschichte den ganzen Weg zurück bis ins Provinzkrankenhaus seiner verhassten Heimat katapultiert. Paula Schweers` Debütroman beginnt und endet in diesem Krankenhaus, im November 2019. Auf dem Bildschirm im Wartezimmer sendet der Live Ticker Nachrichten von einem unbekannten Virus aus Wuhan. Dieses Aufflimmern der Realität ist mit einem Schockmoment verbunden: Unweigerlich fragt man sich, was noch alles wahr ist an dieser Geschichte. Ist es einer dieser autofiktionalen Romane, die so atmosphärisch, lebendig und empathisch, so schonungslos, nah und echt erzählt sind, weil die Autorin vieles ihrer Protagonistin selbst erlebt hat? Oh, bitte nicht! Nina Chaberny-Bleckwedel
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Leykam 24,00€ |
Sepp Mall: "Ein Hund kam in die Küche"Wer hat bei diesem Titel nicht sofort das berühmte Lied im Kopf, in dem der Hund dem Koch ein Ei stiehlt?! Der Roman beginnt 1942 in Südtirol. Ludi ist 11 Jahre alt und erzählt uns, dass seine Familie aus der Heimat, dem vertrauten Umfeld fort ziehen muss. Das Haus, die Freunde, Onkel und Tanten verlassen, das mag er sich so gar nicht vorstellen. Schließlich ist das Dorf, indem er wohnt, die Heimat. Für seinen kleinen Bruder Hanno bedeutet der Fortgang eine noch größere Umstellung, denn der ist "zurückgeblieben" so sagen die Leute... >Ein Roman wider das Vergessen, über das Kindsein in Zeiten von Krieg und Nationalsozialismus, vor dem Hintergrund der Südtiroler "Option".< So lautet der Klappentext dieses unglaublich eindringlichen Buches, das es verdient auf die Longlist des dt. Buchpreises schaffte. Andrea Westerkamp
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Unsere Buchempfehlungen im August
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S. Fischer 24,00€ |
Jarka Kubsova: "Marschlande"Ochsenwerder, südlich von Hamburg, um 1550: Abelke Bleken ist eine Bäuerin, die ihren Hof allein bewirtschaftet, unverheiratet und schon allein deswegen verdächtig. Eine tüchtige Frau, die mit Tatkraft und Verstand für sich und ihre Belegschaft sorgt und gute Erträge einfährt? Da stimmt was nicht. Und so beginnt Kubsovas Roman dann auch gleich mit Abelkes Ende 1583: Verurteilt zum Tod auf dem Scheiterhaufen wegen „Schadenszauberei“ und „Teufelsbuhlschaft“. Im zweiten Handlungsstrang sind wir im Hamburg der Gegenwart und erleben den Klassiker schlechthin: Mutter, Vater, zwei Kinder…in Hamburg…die Wohnung zu eng und nichts Größeres zu bezahlen – da zieht man ins Umland, wo die Preise erschwinglicher sind. So sind also Britta und Philipp mit ihren beiden Kindern nach Ochsenwerder gezogen, vom quirligen Eimsbüttel mal so richtig auf‘s platte Land. Und während Philipp ganz in seiner Rolle als Hauptverdiener und jetzt Hausbesitzer aufgeht, leidet Britta, promovierte Biologin, darunter, dass sie nur noch einem eher anspruchslosen Halbtagsjob nachgehen kann und sich ansonsten um den Familienalltag kümmern muss. In der neuen Umgebung wird sie nicht recht heimisch, es gibt kaum Kontakt mit den Nachbarn, auf langen Spaziergängen durch die herbstliche, nieselige Landschaft blicken Britta nur feindselige Hausfassaden und akkurat gepflegte Vorgärten an. Da stößt sie bei einem ihrer Spaziergänge auf ein Straßenschild, das sie neugierig macht: „Abelke-Bleken-Ring“. Sie beginnt zu recherchieren, gräbt sich immer tiefer ein in diese Geschichte, in der einer Frau zutiefst Unrecht widerfahren ist. Brittas Mann findet, seine Frau sollte sich mal lieber um die Pflege des Eigenheims kümmern und darum, dass sein Lieblingskäse zuverlässig im Kühlschrank zu finden ist – anstatt sich mit einer längst vergessenen Spökenkiekerin zu beschäftigen. Wir ahnen schon: Mit dieser Ehe steht es nicht zum Besten. Kubsova erzählt in ihrem packenden Roman von zwei Frauen, deren Lebensumstände auf den ersten Blick nicht viel gemein haben, und doch spüren wir am Ende der Geschichte, dass damals wie heute viel Energie nötig ist, um als Frau seinen eigenen Weg zu gehen. Astrid Henning
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hanserblau 22,00€ |
Claire Daverley: "Vom Ende der Nacht"Dieses ist aus meiner Sicht der schönste und zarteste Liebes- und Lebensroman dieses Sommers. Es geht um die aufwühlende und zugleich zärtliche Erzählung über zwei Menschen, die nicht anders können, als sich immer und immer wieder, über Jahre, zu begegnen und einander anzuziehen. Ich denke, die beiden Protagonisten, Will und Rosie, gehören schon jetzt zu den unvergesslichen Liebespaaren – und ihre Geschichte wird Sie vom Schlafen abhalten. Will und Rosie lernen sich in ihren Jugendjahren über Rosies Bruder kennen und könnten nicht unterschiedlicher sein: Will, der coole Rebell, lässig auf dem Motorrad cruisend und sein verdammt gutes Aussehen nutzend, die hingerissenen Mädchen abzuschleppen – Familenverhältnisse eher schwierig - Rosie, sie kommt aus sog. gutem Hause, ist recht hübsch, aber eher unauffällig, strebsam, den Familienregeln und der anspruchsvollen Mutter gehorchend, diese beiden nun kommen bei einem abendlichen Lagerfeuer ins Gespräch, treffen sich fortan immer häufiger und verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Neben all der Romantik, neben all dem Herzklopfen, dem atemlosen Warten aufeinander, spürt man eine tiefe, nahezu symbiotische Verbindung und ist hingerissen von dieser wunderbaren jungen Liebe. Bis etwas dermaßen Furchtbares, so unerwartet Grauenvolles und Unvorstellbares geschieht, dass ihre Welt, vor allem ihren gemeinsamen Kosmos, schlicht zerbrechen lässt. Gleichermaßen belastet, aber unterschiedlich mit ihrer Trauer umgehend, treffen sich die Wege von Will und Rosie. Wie erwartet, studiert Rosie und findet sich im wissenschaftlichen Umfeld wieder. Will hingegen bleibt in seiner Heimat, strauchelt, steht wieder auf, beginnt eine Ausbildung, bricht sie wieder ab, ist unstet – unglücklich sind beide. Die Jahre vergehen, und immer wieder laufen sich Rosie und Will über den Weg, mal alleinstehend, mal mit Partnerin oder Partner. Und können das, was hätte sein können, nicht loslassen. „Vom Ende der Nacht“ erzählt von unmittelbarer Nähe, verpassten Chancen, den vielen Lieben, die im Laufe unseres Lebens haben – und eben auch von der einen, zu der wir immer wieder zurückkehren oder zurückkehren wollen. Claire Daverley hat mit ihren Protagonisten zwei ehrliche und authentische Figuren geschaffen, die wir in ihrer Entwicklung und Beziehung zueinander begleiten dürfen. Mit all den Gefühlen, Zweifeln, Skrupeln, Gedanken, Sorgen und Freuden, die dazu gehören. Am Ende steht die Frage, wie mutig und ehrlich auch wir uns selbst gegenüber sein können. Selten ist das Leben ein gradliniges, doch gilt es doch eher genau deswegen, genau hinzuschauen und die Chancen, die sich hinter manchen Kurven des Weges verbergen, zu ergreifen. Heike Behrens
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Bertelsmann 24,00€ |
Shelley Read: "Soweit der Fluss uns trägt"Colorado in den 40ern des letzten Jahrhunderts. Am Fuße der Berge liegt das beschauliche Örtchen Iola. Der Gunnison River fließt seit ewigen Zeiten ungebremst und wild daran vorbei - und genau das soll sich ändern.... Das ist nicht das Ende, sondern der Beginn einer packend erzählten Geschichte über Liebe, Verlust, über Rassismus, Sünden an der Natur und Fehlentscheidungen, Mut und Zuversicht und, und, und! Leider hat der Debütroman von Shelley Read nur 367 Seiten... Andrea Westerkamp
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Piper Verlag 26,00€ |
Philipp Oehmke: "Schönwald"Eine deutsche Familiengeschichte… Ruth und Harry sind beide Mitte 70, ihre drei Kinder somit erwachsen. Wie schön, dass aus allen „was geworden“ ist, endlich, könnte man sagen, denn auch Carolin hat mit Mitte 30 ihren Weg gefunden und eröffnet in Berlin eine queere Buchhandlung. Vorurteile haben Harry und Ruth nicht (Ruth hat sogar extra nochmal Manns „Tod in Venedig“ gelesen, um mitreden zu können), auch wenn sie den Sinn und Zweck einer solchen Buchhandlung nicht so richtig verstehen. Jedenfalls ist die Eröffnung von „They/Them“ ein wunderbarer Anlass, dass die ganze Familie mal wieder zusammenkommt. Sogar Chris, der älteste Sohn, ist extra aus New York gekommen, wo er als Linguistikprofessor an der renommierten Columbia University seinen Eltern alle Ehre macht. Obwohl: Wir wissen schon, dass er ziemlich böse geschasst worden ist, so richtig abgestürzt vom umjubelten, unkonventionellen Prof zur persona non grata, mit der man sich besser nicht mehr sehen lässt. Wer dabei zusehen möchte, wie eine bildungsbürgerliche Familie, die immer darum bemüht war und ist, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen, gepflegt auseinanderfliegt, dem sei „Schönwald“ sehr dringend empfohlen. Lebendig geschrieben, ironisch, aktuell – ein echtes Lesevergnügen. Astrid Henning
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KiWi 23,00€ |
Max Richard Leßmann: "Sylter Welle"Max Richard Leßmann hat einen grandiosen Roman über Sylt geschrieben. Und gleichzeitig eine raue Ode an alle Opas und Omas. Eigentlich jeden Sommer seiner Kindheit hat Max mit seinen eigenwilligen Großeltern auf Sylt verbracht. Natürlich nicht im trubeligen Westerland oder im noblen Kampen: nein, es wurde schön auf dem Campingplatz geurlaubt. Nun fahren Oma Lore und Opa Ludwig ein allerletztes Mal auf die Insel und haben Max eingeladen, sie doch für drei Tage zu besuchen. Oma Lore, die ihre Herzlichkeit gut unter einer despotischen Schale zu verstecken weiß, erwartet Max am Westerländer Bahnhof, so wie immer. Doch dieses Mal brausen sie nicht in ihrem Uralt-Opel Richtung Zeltlager, dieses Mal gehen sie zu Fuß zu einem Hotelkomplex gegenüber der Strandpromenade und wohnen tatsächlich in einer Ferienwohnung. Nicht genug mit dieser Neuerung, muss Max alsbald auch feststellen, dass sich sein Opa verändert hat, irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Doch Oma Lore will davon natürlich nichts wissen. In seinem autobiografisch angehauchten Roman nimmt uns Max Richard Leßmann mit auf eine Reise, nicht nur auf die Nordseeinsel, die ihn deutlich geprägt hat, sondern auch in seine Kindheit und in die Vergangenheit der gesamten Familie. Wie wir wissen, kann man sich seine Verwandten ja nicht aussuchen – hier lernen wir eine Bandbreite familiärer Dynamiken, Routinen, Schrullen und Ansagen kennen, ausgesprochen reflektiert und humorvoll serviert. Max trifft direkt auf die Hinfälligkeit speziell des Opas, und er nimmt diese vermutlich letzte Sylt-Reise zu den Altvorderen zum Anlass, zurückzuschauen. Zeitebenen mit langen Einschüben werden auf elegante, weit ausholende Weise, miteinander verschränkt. Wunderbare, herrliche, zum Weinen lustige Erinnerungen, vor allem an seine Großeltern, wirklich großartige und amüsante Anekdoten unterhalten auf das Allerbeste – und hinter humorvollen Formulierungen finden sich tiefe Gedanken und Fragen, die anrühren und der Lektüre ein besonderes Niveau verleihen. Heike Behrens
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Suhrkamp 18,00€ |
Yasmin Angoe: "Echo der Gewalt"Sofern Sie, verehrte Leserinnen und Leser, schon häufiger Gast unserer Leselustveranstaltungen waren, dann ist Ihnen bekannt, dass ich gerne die Mord- und Totschlagfraktion bediene. ;) Wenn ich Sie also dringend vor dem folgenden Buch warnen möchte, so ist das für die wahren Fans der blutigen Seiten ein absolutes Kauf- bzw. Leseargument! Nena Knight erlebt als junges Mädchen furchtbare Gräueltaten in ihrem ghanaischen Dorf. Ihre anschließende Entführung bewahrt sie zwar vor dem Tod, verfestigt jedoch in ihr den dringenden Wunsch nach Rache! Die Chance dazu erhält sie durch eine fundierte und absolut einzigartige Ausbildung - The Tribe, ein mächtiges Geschäftssyndikat bildet "Echo", so ihr Berufsname, zu einer Elite-Attentäterin aus. Ein bereits mehrfach prämiertes, atemberaubendes Debüt! Ich lechze nach Fall II! Andrea Westerkamp
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Ullstein 17,99€ |
Oliver Dirr: "Walfahrt"Man merkt es Oliver Dirr an, dass er Journalist ist und ein Mensch, der mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt geht und die Fähigkeit des Staunens über kleine und große Dinge zum Glück nicht verlernt zu haben scheint. Er nimmt uns mit an die besten Orte für Whale Watching, nach Norwegen, Island, Kanada, Grönland und Australien, nach Madeira und auf die Azoren. „Walfahrt“ wirkt wie ein Potpourri an Genres, ein persönlicher Reisebericht, voller unterhaltsamer Anekdoten und subjektiven Eindrücken, eine Liebeserklärung an Dirrs Frau Theresa, verbunden mit Elementen aus dem Sachbuchbereich, aus Philosophie und Meeresbiologie, der Geschichte des Walfangs und dem Wal in der Literatur sowie dem eindringlichen Appell, den Walen, dem Meer, der Natur insgesamt mehr Respekt zu zollen. Oliver Dirr hat mit Einheimischen gesprochen, mit Tour Guides und Wissenschaftlern; er hat interessiert gefragt und umfassend recherchiert. Und nun präsentiert er uns auf unterhaltsame, eindrückliche und inspirierende Weise seine Ergebnisse und Erlebnisse. Wer dieses Buch gelesen hat, möchte eigentlich nur noch eins: sich selbst auf Walfahrt begeben. Nina Chaberny-Bleckwedel
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Unsere Buchempfehlungen im Mai
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S. Fischer 24,00€ |
John Ironmonger: "Der Eisbär"Bei zweiten und dritten Büchern eines Autors ist ja manchmal etwas Vorsicht geboten…das kennen wir alle. Wie schön, dass das nicht auf John Ironmongers „Eisbären“ zutrifft, also werfen wir uns gerne mitten rein ins Vergnügen: Wer den „Wal“ gelesen hat, wird sich gleich mal wie zu Hause fühlen, denn die Geschichte beginnt mit einem feucht-fröhlichen Abend im „Stormy Petrel Inn“ in St. Piran (Sie erinnern sich?), wo unsere beiden Protagonisten schon das eine oder andere Bier intus haben. Es handelt sich hierbei um den 20-jährigen Tom, der aus St. Piran stammt, seit zwei Jahren in London Geowissenschaften studiert und somit ein profundes Wissen in Sachen Klimawandel hat. Auf der anderen Seite: Monty Causley, örtlicher Parlamentsabgeordneter, dessen Familie seit drei Generationen ein Haus direkt am Strand besitzt, eindeutig dem Team „Klimaleugner“ zuzurechnen. Zwischen diesen beiden kommt es zu einem hitzigen Streit über dieses Thema, der in einer Wette mündet, denn Tom behauptet: „Ich wette mit Ihnen, dass Sie in fünfzig Jahren, von heute an, nicht bei Flut in Ihrem Wohnzimmer sitzen können, ohne zu ertrinken.“ Monty Causley lässt sich darauf ein, nicht ohne ebenfalls einen dramatischen Wetteinsatz zu fordern. John Ironmonger folgt nun diesen beiden Männern und wir sehr gerne mit ihnen. Der Roman erstreckt sich über gut 50 Jahre, Sie werden also das Ende der Wette mitbekommen…natürlich wird hier nichts verraten! Astrid Henning
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Mare 22,00€ |
Mathijs Deen: "Der Taucher"Die „Freya“ ist ein niederländisches Bergungsschiff. Auf der Suche nach einem über Bord gegangenen Container stößt die Mannschaft vor Amrum durch Zufall auf ein gesunkenes Schiff. Beim Kontrolltauchgang macht die Mannschaft einen grausigen Fund. Mit Handschellen an das Wrack „Hanne“ gefesselt, hängt eine männliche Leiche in der Tiefe, die Schlüssel der Handschellen in seinem Blickfeld. Während seines qualvollen Erstickungstodes, hatte er sie genau vor Augen. Hier handelt es sich eindeutig um einen Rachemord. Für uns Leser wie für den schrulligen Kommissar Cupido setzt sich das Puzzle der Tat nur sehr langsam und mit vielen überraschenden Wendungen zusammen. Familienzwiste, die rechte Szene, die fast unheimliche Unterwasserwelt der Nordsee und Einblicke in die Nautik bestimmen die Handlung. Thrillerspannung steht bei diesem herausragenden Kriminalroman nicht an erster Stelle, aber die Atmosphäre, die der Autor Deen schafft, ist zum Schneiden dicht, seine Figuren liebevoll norddeutsch gezeichnet.Die Gischt auf dem Meer peitscht uns beim Lesen mitten ins Gesicht und eine Reise auf die gesamten Nordseeinseln ist ohne dieses tolle Buch eigentlich unmöglich. Annette Matthaei
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Diogenes Verlag 25,00€ |
Anthony McCarten: "Going Zero"Denken Sie kurz mal nach, was meinen Sie: Würde es Ihnen gelingen, 30 Tage lang keine Spur zu hinterlassen und unauffindbar zu sein? Keiner Überwachungskamera „begegnen“, keine Spur im Internet hinterlassen, nirgendwo mit Karte zahlen – vom physischen Auftauchen im echten Leben mal ganz zu schweigen. Diese Herausforderung nehmen 10 US-AmerikanerInnen an, fünf Laien und fünf IT-Profis, denn es gibt was zu gewinnen: 3 Millionen Dollar. Cy Baxter, US-Internet-Mogul, wettet, dass er jeden Menschen innerhalb von 30 Tagen aufspüren kann, denn sein Unternehmen sammelt Daten jeglicher Art, egal ob körperlicher Natur oder Spuren, die man im World Wide Web hinterlässt. Sein Hintergrund: Er will einen extrem lukrativen Vertrag mit der CIA abschließen und durch diesen Versuch zeigen, wozu sein Unternehmen in der Lage ist. Angeblich zum Vorteil aller, denn wäre es nicht absolut großartig, Menschen mit bösen Absichten schon zu entdecken, bevor sie beispielsweise ein Attentat o.ä. begehen? McCarten strickt aus diesem Stoff einen rasanten, intelligenten und spannenden Thriller, der einen unweigerlich in das Buch hineinzieht. Und das liegt zum großen Teil auch an der Protagonistin Kaitlyn Day, Bibliothekarin und eine der Teilnehmerinnen. Die „natürlich“ niemand so richtig auf dem Schirm hat: eine Person, die noch echte Bücher liest?? Ich bitte Sie. Astrid Henning
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Eichborn Verlag 25,00€ |
Gabrielle Zevin: "Morgen, morgen und wieder morgen!Einen Tag nach dem anderen nehmend, beleuchtet Gabrielle Zevin in ihrem Roman das Leben zweier junger Menschen, die einmal zu Legenden der Videospielindustrie werden sollen. Sadie und Sam lernen sich als Kinder in einem Krankenhaus kennen. Beide haben schreckliche Gründe dafür dort zu sein, doch gemeinsam scheint die Last, die auf ihnen wiegt, nur noch halb so schwer. Die zwei entdecken die Welt der Videospiele für sich und werden Freunde, bis ein Verrat die junge Freundschaft erschüttert… In diesem Buch geht es ums Gaming, aber man muss nie ein Videospiel gespielt haben, um in den Sog dieser außergewöhnlichen Geschichte zu geraten, in der es um so vieles mehr geht: Geschlechterrollen, Identität, Race, cultural appropriation, Betrug, Freundschaft, Familie und immer wieder die Liebe. Dennoch ist dies keine Liebesgeschichte und durch wechselnde Perspektiven sehen wir, dass Menschen nicht immer nach außen tragen, was sie durchmachen. Mattes Daugardt
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Kein & Aber 24,00€ |
Manuel Butt: "Zierfische in Händen von Idioten"Immer wieder werden wir im Moment nach Büchern gefragt, die nicht schwer sind - nach humorvollen Büchern, nach Büchern, über die man auch einmal lachen kann. Bei „Zierfische in Händen von Idioten“ habe ich an mehreren Stellen laut gelacht! Im Sommer 1996 machen Tobis Eltern eine Ferienreise an die türkische Riviera. Tobi, 18 Jahre alt, hat für die sturmfreie Zeit einige Pläne: Er will zum ersten Mal mit Lisa, seiner Freundin, schlafen, seine Führerscheinprüfung bestehen und noch einiges mehr. Nebenbei muss er noch die Seepferdchen im Aquarium seines Vaters versorgen, aber das kann ja nicht allzu schwer sein. Leider kommt schließlich alles ganz anders... Ein wirklich wunderbares Roadmovie, begleitet vom Sound der 90er (Bon Jovi, die Spice Girls, Oasis..., Los del Rios mit „Macarena“ am Strand): Jeder, der sich an diese Zeit erinnern kann, wird dabei irgendwie mitschwingen. Sogar an der Zoohandlung, die angeblich Namenspate der Pet Shop Boys gewesen sein soll, kommen die vier vorbei. Sabine Christ
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C.Bertelsmann 23,00€ |
Joanna Quinn: "Das Theater am Strand"Chilcombe Castle, ein mächtig in die Jahre gekommener Landsitz an der Küste von Dorset in den ausgehenden zwanziger Jahren ist das Setting dieses wunderbaren Erstlings der Autorin Joanna Quinn. Die zwölfjährige, wilde Cristobel Seagrave wächst mit ihrer jüngeren Halbschwester Florence und dem Cousin Digby unter verworrenen Familienverhältnissen recht verwahrlost auf. Die Erwachsenen sind mit sich und dem Feiern ausufernder Partys mit durchgeknallten Gästen aus der Künstlerszene beschäftigt. Bunt ist das Menschenszenario. Den Kindern wird eine vertrocknete französische Privatlehrerin zur Bildung an die Seite gestellt, aber Cristabel entdeckt bald, dass sie ein besonderes Talent besitzt: das Erzählen von Geschichten zieht ihre Zuhörer in den Bann und auch das Schauspielern liegt ihr. Eines stürmischen Morgens entdeckt sie einen gestrandeten Wal am Strand. Ihr Wal, ein Zeichen! Aus den Walknochen entsteht die Bühne eines Theaters am Strand und halb Dorset wohnt bald den zauberhaften Aufführungen von Shakespearestücken bei. Was wie lockere, leichte Unterhaltung beginnt, nimmt im Laufe des Buches kräftig an Fahrt auf. Die jede für sich so liebenswerten Figuren gewinnen an Tiefe und ich mochte mich so gar nicht von ihnen verabschieden und das sage ich nach 700 wunderbaren Seiten!! Annette Matthaei
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dtv 24,00€ |
Janet Lewis: "Draussen die Welt"1943 wurde der Roman „Draußen die Welt“ von Janet Lewis erstmals in den USA unter dem Titel „Against a darkening sky“ veröffentlicht. Nun ist er erstmals in deutscher Übersetzung bei dtv erschienen. Die Geschichte des Buchs spielt Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre zur Zeit der großen Wirtschaftsdepression in den USA. Mary Perrault und ihr Ehemann, Eltern von vier Kindern, leben in einer kleinen kalifornischen Stadt und kommen mit ihren bescheidenen Jobs und dem, was ihr Garten ihnen liefert, einigermaßen über die Runden. Mary ist eine gütige, hilfsbereite Frau, eine liebende Mutter und treue Gattin. Sie ist eingebunden in das Sozialleben des kleinen Ortes und kommt mit den Menschen um sie herum gut aus. Trotz eines furchtbaren Schicksalsschlages geht das Leben nach einiger Zeit wieder seinen gewohnten Gang. Doch die Beständigkeit Marys und das Idyll des ländlichen Lebens werden im Hintergrund der Handlung immer wieder bedroht von den großen Katastrophen und Bedrohungen der Welt. So führen wirtschaftliche Sorgen und Nöte der Menschen zu Neid und Missgunst unter den Nachbarn. Dürre und Wassermangel erschweren zusätzlich das Leben. Trotz alledem bleibt Mary Perrault der „moralische Ruhepol“ in diesen unruhigen Zeiten. Sie navigiert ihre Familie mit unglaublicher Stärke durch all die Wellen und Stürme des Lebens, die die Zeit im Allgemeinen und auch das Heranwachsen ihrer Kinder mit sich bringen. Janet Lewis wurde beinahe 100 Jahre alt. In diesem Text verweist sie fast prophetisch auf viele Probleme, die erst viel später wirklich ins Bewusstsein der Menschen rückten. So schreibt sie zum Beispiel über Wassermangel und die Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Doch diese Dinge bleiben im Hintergrund, auch wenn sie die ganze Zeit beim Lesen immer wieder mitschwingen. Beeindruckt und fasziniert hat mich ganz besonders, wie Mary den Menschen um sie herum immer wieder Halt und Stütze ist; wie sie sich bemüht, ihren Kindern ins Leben zu helfen, auch wenn die Wege manchmal krumm und schwer sind. Mary vertraut ihren Kindern bedingungslos, lässt sie sich ausprobieren und nimmt nur dort Einfluss, wo es gar nicht mehr anders geht. Sabine Christ
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Hanser Verlag 26,00€ |
Douglas Stuart: "Young Mungo"„Young Mungo“ ist wie Kintsugi für die Seele: es hat mich in tausend Teile zerschlagen und anschließend wieder zusammengefügt. Douglas Stuarts neuer Roman ist ein aufwühlendes, schonungsloses Buch. Leser*innen von Shuggie Bain werden das Milieu der Glasgow‘schen Arbeiterklasse wiedererkennen. Doch wo Shuggie fast wie ein Vehikel erschien, um seine Mutter zu beleuchten, steht Mungo im Mittelpunkt seiner eigenen Erzählung. „Young Mungo“ ist ein gewaltvolles, äußerst graphisches Buch. Dennoch schafft Stuart es mit lyrischer Behutsamkeit Hoffnung zu wecken, denn wenn das Schlimmste überstanden ist, gibt es nur den Blick nach vorn - nur den Wert der Dinge, die überdauern. Mattes Daugardt
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Unsere Buchempfehlungen im April
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Btb 16,00€ |
Kester Schlenz/Jan Jepsen: "Der Bojenmann"Mit einem zufriedenen Seufzen und einem kühlen Bierchen in der Hand betritt der Ex Kapitän Oke Andersen, von seinen früheren Kollegen wegen seiner Neigung zur Philosophie liebevoll La Lotse genannt, seinen Balkon in Övelgönne mit dem phantastischen Blick auf den gegenüberliegenden Containerhafen. Es ist die blaue Stunde, einer der schönsten Momente des Tages, wenn die Elbe glitzert und das Leben unten am Strand ganz langsam zur Ruhe kommt. Die Bankkauffrau Stefanie Bauer joggt wie gewohnt locker um die Alster. Bei der Hohenfelder Brücke legt sie ein Päuschen für das Stretching mit Blick auf ihren stummen, hölzernen Bekannten, der verlässlich auf dem Gewässer dümpelt, ein. Doch sie ist irritiert. Wieso stemmt der nicht wie immer die Hände in die Hüften, sondern reckt einen gestreckten Daumen nach oben?? Ganz sicher kein Krimi für zarte Gemüter. Man muss es aushalten in die Abgründe der Plastination an der Seite eines verrückten Genies einzutauchen und auch um den einen oder anderen Kollegen zu bangen. Alles in allem ein ganz toller Hamburgkrimi. Der zweite Teil ist in Arbeit und ich fiebere ihm entgegen. Annette Matthaei
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KiWi 23,00€ |
Sebastian Hotz: "Mindset"Einigen von Ihnen ist Sebastian Hotz vielleicht ein Begriff, alle anderen sollten ihn schleunigst entdecken, zum Beispiel mit seinem Romandebut: klug, ironisch und sehr gut beobachtet. Wir haben zwei Protagonisten: Zum einen Maximilian Krach, ein offensichtlich extrem erfolgreicher Unternehmer, Anfang 30, mit allen Insignien der Macht ausgestattet, so möchte man es fast ausdrücken. Die richtigen Anzüge im richtigen Schnitt, diverse teure Uhren, ebensolche schnittigen und edlen Fahrzeuge – er hat es offensichtlich geschafft. Und weil er andere an seinem Erfolg teilhaben lassen will, gibt er regelmäßig Coachingseminare, irritierenderweise in eher zweitklassigen Hotels. Dort versammeln sich dann knapp 15 junge Männer (auch nicht sooo viel), Typ Versicherungsvertreter mit Ambitionen auf mehr, und lauschen Maximilians Weisheiten. Vom Schaf zum Wolf werden, vom Gejagten zum Jäger – das ist das Ziel und alles eine Frage des Gehirns, des richtigen Mindsets. Ich bin ganz sicher, dass wir alle einen Mirko kennen, genauso wie vielleicht auch einen Maximilian Krach, bei dem man sich bereits nach den ersten Zeilen fragt, was hier echt und was Fassade ist. Astrid Henning
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Btb 24,00€ |
Till Raether: "Die Architektin"Männer, Geld und Häuser kann man nie genug haben. Das ist der Leitspruch der Architektin, die in den frühen Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts die komplett männerdominierte Baubranche und Wiederaufbauszene aufmischen will und wird. Die Architektin ist eine schlaue, berechnende Mitvierzigerin, glamourös, taktierend, die sich die größten Schnitten im Baugeschäft zu sichern weiß. Nach einigen kleineren Projekten will sie nun mit den ganz Großen spielen: In Berlin-Steglitz soll ein spektakulärer Rundumschlag erfolgen: Neue Verkehrsanbindungen, U-Bahn, und vor allem das riesige Kreiselhochhaus sollen den Stadtteil anschlussfähig machen. Scheinbar niemals versiegende Quellen von Fördergeldern wollen verausgabt werden, der Bauwirtschaft, den Investoren und den Entscheidungsträger winken erhebliche Steuererleichterungen und Zulagen – ein wahrer Selbstbedienungsladen für alle Beteiligten. Die Figur des Romans ist von einer realen Person, der Architektin Sigrid Kressmann- Zschach, inspiriert, die Geschichte handelt vom größten Bauskandal der Berliner Nachkriegszeit. Es eine Geschichte über Macht, Utopien, Größenwahn, Liebe und Freundschaft, aber es geht auch um Gespenster, Hobbykeller, kommunistische Untergrundgruppen, Kochen im Römertopf, um Scharlachberg-Meisterbrand und Büfetts mit Sülze in Aspik, typische 70er-Jahre eben. Heike Behrens
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Kampa Verlag 22,00€ |
Jane Crilly: "Der Gärtner von Wimbledon"Cara, eine junge englische Journalistin, bekommt den Auftrag, für ihre Zeitung ein Portrait über Henry Evans zu schreiben, der Gärtner, der 50 Jahre lang über den heiligen Rasen von Wimbledon gewacht hat. Von Tennis versteht Cara so gut wie gar nichts und so ist es klar, dass sie mehr auf die „persönlichen“ Elemente der Story setzen will. Als 1939 der Krieg ausbricht, ändern sich die Zeiten und es ist vorbei mit den unbeschwerten Ausflügen, bei denen Rose auf der Querstange von Henrys Fahrrad sitzt. Die beiden Söhne, der Blakes werden eingezogen, aus dem Tennisplatz des Anwesens wird ein Kartoffelacker und auch in die Freundschaft von Rose und Henry, aus der inzwischen eine Liebe geworden ist, zieht ein gewisser Ernst ein. Insbesondere Henry hält fest an der Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft, aber Rose dämmert, dass die gesellschaftlichen Zustände das kaum erlauben werden. Jane Crilly hat eine wunderbare, bittersüße und klassisch englische Liebesgeschichte geschrieben, die berührt, aber nie kitschig ist. Nicht nur Fans von Downtown Abbey werden diesen feinen Roman lieben. Astrid Henning |
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Rowohlt 22,00€ |
Lukas Bärfuss: "Die Krume Brot"Adelinas Unglück beginnt mit ihrem Großvater Angelo, einem italienischen Nationalisten, einem Mussolini-Verehrer, der sich der faschistischen Bewegung anschließt. Verblendet von dieser Ideologie, dieser Verblendung in jeglicher Hinsicht, lässt er es zu, dass sein einziger Sohn Mario für den Zweiten Weltkrieg rekrutiert wird, obgleich er es hätte verhindern können. Als Mario unerwartet stirbt, übernimmt die noch sehr junge Adelina auf Druck ihrer Mutter hälftig seine nicht unerheblichen Schulden. Die Mutter indes verschwindet flugs mit einem Liebhaber Richtung Italien. Adelina muss ihre Ausbildung als Stickerin abbrechen, um Geld zu verdienen. Sie begegnet Toto, einem schönen Gastarbeiter, verliebt sich in ihn und wird, wie könnte es anders sein, schwanger. Doch Toto darf nur immer für einige Monate in der Schweiz bleiben, muss dann ausreisen, um wieder einreisen zu dürfen. Nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Emma schickt er noch kurze Zeit ein wenig Geld, die Telefonate werden weniger und knapper, bis er irgendwann sozusagen verschwunden ist. Und hier beginnt nun der eigentliche Roman. Die Erzählperspektive ist ab jetzt nahe bei der Hauptfigur, manchmal in ihrem Kopf, manchmal kommentierend schräg von oben. Schwer ist Adelinas Leben, einsam und anstrengend. Sie arbeitet bis in die Nacht in einer Bar, dennoch reicht das Geld hinten und vorne nicht. Die Miete könnte sie verrechnen lassen, so teilt ihr der Vermieter mit, wenn sie denn ein wenig freundlich zu ihm wäre. Doch Adelina verpfändet lieber ihr schmales Hab und Gut bei einem Pfandleiher. Und lässt sich dann, vorerst platonisch, mit Emil ein, der ihre Schulden begleicht und sie und Emma in seine Wohnung ziehen lässt. Heike Behrens
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Unionsverlag 24,00€ |
Claudia Pineiro: "Kathedralen"Der aktuelle Roman von Claudia Pineiro beginnt in Argentinien. Nach dem brutalen Mord an Lias Schwester Ana, ist es der jüngsten von drei Töchtern unmöglich, weiterhin an einen guten Gott zu glauben. Das spaltet die streng religiöse Familie, und Lia wird als Konsequenz das Land verlassen und nahezu alle Kontakte abbrechen. Vor dreißig Jahren geschah das Verbrechen, aufgeklärt ist es bis heute nicht. In Santiago de Compostela betreibt Lia seither eine Buchhandlung. Nur sporadisch erhält sie Briefe von ihrem Vater aus der alten Heimat. Das reicht ihr völlig. Wie vereinbart spart er dabei Familieninterna völlig aus. Entsprechend fassungslos reagiert sie, als plötzlich ihre älteste Schwester vor ihr steht und ihr mitteilt, dass der Vater tot ist... Das bleibt nicht die einzige Überraschung! Claudia Pineiro lässt uns das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, wobei die unterschiedlichen Perspektiven jeweils ihre Eigenheiten bewahren. Zu Wort kommt auch, neben Familienmitgliedern, die beste Freundin der Toten, die aufgrund einer Verletzung Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis hat. Beeindruckend schildert uns die Autorin wie es ist, wenn ein Trauma Lücken hinterlässt. Immer mehr Abgründe tun sich auf, je weiter die Geschichte fort schreitet.
Andrea Westerkamp
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Jochen Gutsch/Maxim Leo: "Frankie"Eines lauschigen Sommerabends dreht Frankieboy eine gemütliche Runde in seinem Revier. Vor dem verlassenen Haus hält er inne. Was ist da denn los? Steht da ein Mann im Wohnzimmer und spielt mit dem großartigstem Faden, den Frankie seit langem gesehen hat? Was macht der da? Hopp, hoch auf die Fensterbank und die ganze Angelegenheit genau betrachten. Der Faden ist kein Faden, sondern ein handfestes Seil mit dem Herr Richard Gold soeben versucht sich an der Wohnzimmerdecke aufzuknüpfen. Doch wer bitteschön kann sich das Leben nehmen, wenn ein Katzenvieh einem durch die Scheibe mit starrem Blick dabei zusieht? Verzweifelt bricht Herr Gold seinen Suizidversuch ab, verflucht den räudigen Vierbeiner, der ihm beim Versuch ihn zu verscheuchen, flugs zwischen den Beinen ins Haus flutscht und es sich dort auf der Couch recht bequem macht. Vielleicht können Sie sich denken, dass unser Frankie für Herrn Gold zum „kleinen Lebenssinn“ wird, manchmal alles besser wird und tatsächlich: genauso kommt es. Ein entzückendes Büchlein für alle Katzenliebhaber oder solche, die es nach der Lektüre dieser Geschichte werden. Annette Matthaei
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Lübbe 12,99€ |
Sarah Goodwin: "Stranded - Die Insel"Ich liebe Inselurlaube - Sie auch? Wenn dem so ist, sollten Sie diesen Thriller NICHT lesen! Meine Sehnsucht nach Ferienzeit auf einem einsamen Eiland hat auf jeden Fall nach dieser Lektüre gewaltig nachgelassen.... "Für Maddy wird ein Traum wahr: Sie nimmt an einem neuartigen Fernsehexperiment teil, in dem acht Fremde auf einer einsamen schottischen Insel überleben müssen, ein Jahr lang, mit nur minimaler Ausrüstung und ohne Kontakt zur Außenwelt." So lautet der Klappentext. Und das klingt, ehrlich gesagt, nur bedingt spannend. Kennt man doch schon aus dem Fernsehen... Täuschen Sie sich nicht! Mrs. Goodwin erzeugt ein Frösteln, das sich von Kapitel zu Kapitel steigert. Ich darf Ihnen verraten, dass Maddy überlebt (steht ja im Prolog). Über das Schicksal der übrigen Teilnehmer informieren Sie sich bitte unbedingt selbst, vorzugsweise am Sandtrand liegend... Andrea Westerkamp
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